URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
15. Januar 1998
(1)
„Kooperationsabkommen EWGAlgerien Artikel 39 Absatz 1
Diskriminierungsverbot im Bereich der sozialen Sicherheit Unmittelbare
Wirkung Geltungsbereich Beihilfe für Behinderte“
In der Rechtssache C-113/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunal de
Travail Charleroi (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Henia Babahenini
gegen
Belgischer Staat
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 39
Absatz 1 des am 26. April 1976 in Algier unterzeichneten Kooperationsabkommens
zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen
Volksrepublik Algerien, im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch die
Verordnung (EWG) Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September 1978 (ABl. L 263,
S. 1),
erläßt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen (Berichterstatter) sowie der
Richter G. F. Mancini und G. Hirsch,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Verwaltungsdirektor
im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und
Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
M. Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13.
November 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Tribunal du travail Charleroi hat mit Urteil vom 18. März 1997, bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 20. März 1997, gemäß Artikel 177
EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 39 Absatz 1 des am 26.
April 1976 in Algier unterzeichneten Kooperationsabkommens zwischen der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik
Algerien, im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch die Verordnung (EWG)
Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September 1978 (ABl. L 263, S. 1; im folgenden:
Abkommen), zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Babahenini (im
folgenden: Klägerin), die die algerische Staatsangehörigkeit besitzt, und dem
Belgischen Staat (im folgenden: Beklagter) wegen der Versagung einer Beihilfe für
Behinderte.
- 3.
- Nach den Akten ist die Klägerin die Ehefrau eines im Ruhestand befindlichen
algerischen Arbeitnehmers. Sie wohnt mit ihrem Ehemann in Belgien, wo dieser als
Arbeitnehmer beschäftigt war und eine Altersrente nach dem belgischen Recht
bezieht. Sie selbst hat in Belgien nie eine berufliche Tätigkeit ausgeübt. Es steht
fest, daß sie körperlich behindert ist.
- 4.
- Am 11. September 1995 beantragte die Klägerin eine Beihilfe für Behinderte
gemäß dem belgischen Gesetz vom 27. Februar 1987 (Moniteur belge vom 1. April
1987, S. 4832).
- 5.
- Nach Artikel 4 Absatz 1 dieses Gesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juli
1991 (Moniteur belge vom 1. August 1991, S. 16951) setzt ein Anspruch auf eine
Beihilfe für Behinderte voraus, daß der Betroffene seinen tatsächlichen Wohnsitz
in Belgien hat, Belgier, Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats der
Gemeinschaft, Flüchtling, Staatenloser oder Inhaber einer unbestimmten
Staatsangehörigkeit ist oder bis zum 21. Lebensjahr den nach dem belgischen Recht
vorgesehenen Zuschlag zur Familienbeihilfe erhalten hat. Das Gesetz vom 20. Juli
1991 trat am 1. Januar 1992 in Kraft.
- 6.
- Am 27. September 1995 lehnten die zuständigen belgischen Behörden den Antrag
der Klägerin mit der Begründung ab, sie erfülle nicht die Voraussetzungen des
Artikels 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 27. Februar 1987 hinsichtlich der
Staatsangehörigkeit.
- 7.
- Am 29. November 1995 erhob die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage beim
Tribunal du travail Charleroi und machte dabei einen Verstoß gegen Artikel 39
Absatz 1 des Abkommens geltend, wonach es den Behörden der Mitgliedstaaten
untersagt sei, einem Antragsteller die Gewährung der beantragten Leistungen der
sozialen Sicherheit unter Hinweis auf seine algerische Staatsangehörigkeit zu
verweigern.
- 8.
- Der Arbeitsauditor beim Tribunal du travail Charleroi vertritt indessen die
Auffassung, daß die Klägerin nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 39
Absatz 1 des Abkommens falle, weil das im belgischen Recht vorgesehene Recht
auf Behindertenbeihilfen als ein eigenes Recht anzusehen sei und die Klägerin
nicht selbst die Arbeitnehmereigenschaft besitze.
- 9.
- Das Tribunal du travail Charleroi hat die Frage aufgeworfen, ob diese Ansicht der
Staatsanwaltschaft nicht den Anwendungsbereich des Abkommens einschränke, das
gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. per Analogie Urteil vom 31.
Januar 1991 in der Rechtssache C-18/90, Kziber, Slg. 1991, I-199) auch für die
Familienangehörigen des algerischen Wanderarbeitnehmers gelte. Außerdem hat
das Tribunal du travail erklärt, die von der Klägerin beantragten Leistungen seien
ihr nur wegen ihrer Staatsangehörigkeit und nicht deshalb versagt worden, weil sie
keine berufliche Tätigkeit ausgeübt habe, ein Erfordernis, das im übrigen
keineswegs für Inländer gelte.
- 10.
- Das Tribunal de travail Charleroi ist daher der Auffassung, daß der Rechtsstreit
Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwirft, und hat daher das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
„Ist es unter Berücksichtigung des Artikels 39 des mit der Verordnung (EWG) Nr.
2210/78 genehmigten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien zulässig,
daß ein Mitgliedstaat es ablehnt, einem algerischen Behinderten, der selbst nicht
in Belgien gearbeitet hat, Beihilfen für Behinderte (hier: nach dem belgischen
Gesetz vom 27. Februar 1987) zu gewähren, wenn der Betreffende zusammen mit
seinem Ehegatten, der algerischer Staatsangehöriger ist und eine belgische
Altersrente erhält, in Belgien wohnt?“
- 11.
- Zunächst ist auf das Ziel und die einschlägigen Vorschriften des Abkommens zu
verweisen.
- 12.
- Ziel des Abkommens ist es nach seinem Artikel 1, eine globale Zusammenarbeit
zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung Algeriens beizutragen und die Vertiefung ihrer Beziehungen zu
erleichtern. Diese Zusammenarbeit wird nach Titel I auf wirtschaftlichem,
technischem und finanziellem Gebiet, nach Titel II auf dem Gebiet des Handels
und nach Titel III im sozialen Bereich hergestellt.
- 13.
- Artikel 39 Absatz 1, der zu Titel III Zusammenarbeit im Bereich der
Arbeitskräfte gehört, bestimmt:
„Vorbehaltlich der folgenden Absätze wird den Arbeitnehmern algerischer
Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen
auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung gewährt, die keine auf der
Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen
der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt.“
- 14.
- Die folgenden Absätze dieses Artikels betreffen die in den einzelnen
Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs-, Beschäftigungs- oder
Aufenthaltszeiten, die Familienzulagen für die innerhalb der Gemeinschaft
wohnenden Familienangehörigen und den Transfer nach Algerien von Alters- und
Hinterbliebenenrenten sowie Renten bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder
Erwerbsunfähigkeit.
- 15.
- Unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangsverfahrens ist die
Vorabentscheidungsfrage so zu verstehen, daß mit ihr im wesentlichen Auskunft
darüber begehrt wird, ob es nach Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens einem
Mitgliedstaat verwehrt ist, der behinderten Ehefrau eines im Ruhestand
befindlichen algerischen Arbeitnehmers, die zusammen mit ihrem Ehegatten in
diesem Mitgliedstaat wohnt, eine Leistung wie die Beihilfe für Behinderte, die nach
den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats zugunsten von innerhalb des Landes
wohnenden Inländern unabhängig von der Ausübung einer Berufstätigkeit
vorgesehen ist, mit der Begründung zu versagen, daß sie algerische
Staatsangehörige sei und niemals eine Berufstätigkeit ausgeübt habe.
- 16.
- Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens zu prüfen, ob sich ein einzelner vor
einem nationalen Gericht unmittelbar auf Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens
berufen kann, und zweitens, ob diese Vorschrift den Fall der Ehefrau eines
algerischen Wanderarbeitnehmers erfaßt, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie
wohnen und in dem ihr Ehegatte eine Altersrente erhält, eine Beihilfe der Art, wie
sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, beantragt.
Zur unmittelbaren Wirkung des Artikels 39 Absatz 1 des Abkommens
- 17.
- Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteil vom 5. April
1995 in der Rechtssache C-103/94, Krid, Slg. 1995, I-719, Randnrn. 21 bis 23, und
im Wege der Analogie Urteile Kziber, a. a. O., Randnrn. 15 bis 22, und vom
20. April 1994 in der Rechtssache C-58/93, Yousfi, Slg. 1994, I-1353, Randnr. 16 bis
18, sowie vom 3. Oktober 1996 in der Rechtssache C-126/95, Hallouzi-Choho, Slg.
1996, I-4807, Randnr. 19, ergangen zu Artikel 41 Absatz 1 des am 27. April 1976
in Rabat unterzeichneten Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko, im Namen der
Gemeinschaft genehmigt durch die Verordnung [EWG] Nr. 2211/78 des Rates vom
26. September 1978 [ABl. L 264, S. 1], der den gleichen Wortlaut wie Artikel 39
Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der EWG und Algerien hat)
enthält Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens, der klar, eindeutig und unbedingt das
Verbot begründet, Arbeitnehmer algerischer Staatsangehörigkeit und die mit ihnen
zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit
aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit zu benachteiligen, eine klare und eindeutige
Verpflichtung, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines
weiteren Aktes abhängen, soweit es um Fragen geht, die nicht Gegenstand der
Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels sind. Der Gerichtshof hat in den genannten
Urteilen weiter ausgeführt, daß das Ziel des Abkommens, eine globale
Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien, namentlich im Bereich der
Arbeitskräfte, zu fördern, bestätigt, daß das in Artikel 39 Absatz 1 verankerte
Diskriminierungsverbot geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen unmittelbar
zu regeln.
- 18.
- Der Gerichtshof hat daraus den Schluß gezogen (siehe Urteil Krid, a. a. O.,
Randnr. 24, und im Wege der Analogie die Urteile Kziber, a. a. O., Randnr.
23, Yousfi, a. a. O., Randnr. 19, und Hallouzi-Choho, a. a. O., Randnr. 20), daß
diese Vorschrift unmittelbare Wirkung hat, so daß die einzelnen, auf die sie
anwendbar ist, das Recht haben, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu
berufen.
Zur Tragweite des Artikels 39 Absatz 1 des Abkommens
- 19.
- Um die Bedeutung des in Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens niedergelegten
Diskriminierungsverbots zu klären, ist zum einen zu prüfen, ob sich der persönliche
Geltungsbereich dieses Artikels auf eine Person wie die Klägerin erstreckt, und zum
anderen, ob eine Leistung wie die im belgischen Recht vorgesehene Beihilfe für
Behinderte zum Gebiet der sozialen Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung gehört.
- 20.
- Was erstens den persönlichen Geltungsbereich des Artikels 39 Absatz 1 des
Abkommens angeht, so ist diese Vorschrift zunächst auf Arbeitnehmer algerischer
Staatsangehörigkeit anwendbar, wobei dieser Begriff nach ständiger
Rechtsprechung (vgl. Urteil Krid, a. a. O., Randnr. 26, und im Wege der
Analogie die Urteile Kziber, a. a. O., Randnr. 27, Yousfi, a. a. O., Randnr. 21,
und Hallouzi-Choho, a. a. O., Randnr. 22) sowohl die aktiven Arbeitnehmer als
auch die Arbeitnehmer erfaßt, die aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden sind,
insbesondere nachdem sie das für die Gewährung einer Altersrente erforderliche
Alter erreicht haben.
- 21.
- Weiter gilt Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens auch für die Familienangehörigen
dieser Arbeitnehmer, die mit ihnen in dem Mitgliedstaat, in dem sie beschäftigt
sind, zusammenleben.
- 22.
- Insoweit wird eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Ehefrau
eines algerischen Wanderarbeitnehmers, die mit ihm zusammen in dem
Mitgliedstaat wohnt, in dem er eine Altersrente bezieht, nachdem er dort eine
berufliche Tätigkeit ausgeübt hat, von Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens erfaßt.
- 23.
- Der Belgische Staat hat zwar geltend gemacht, eine mit einem algerischen
Wanderarbeitnehmer verheiratete algerische Staatsangehörige, die nie selbst die
Arbeitnehmereigenschaft besessen habe, könne sich nicht auf Artikel 39 Absatz 1
des Abkommens berufen, um eine Leistung wie die nach belgischem Rechtvorgesehene Beihilfe für Behinderte zu erhalten, denn bei dieser Leistung handele
es sich nach belgischem Recht um ein eigenes Recht und nicht um ein von der
Klägerin aufgrund ihrer Eigenschaft als Familienangehörige eines
Wanderarbeitnehmers erworbenes abgeleitetes Recht.
- 24.
- Dazu genügt es festzustellen, daß der persönliche Geltungsbereich des Artikels 39
Absatz 1 des Abkommens nicht deckungsgleich ist mit dem des Artikels 2 der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der
Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der
durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten
und aktualisierten Fassung (ABl. L 230, S. 6), so daß die übrigens vor kurzem
durch das Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-308/93 (Cabanis-Issarte,
Slg. 1996, I-2097) präzisierte Rechtsprechung, die im Rahmen der Verordnung
Nr. 1408/71 zwischen abgeleiteten und eigenen Rechten der Familienangehörigen
des Wanderarbeitnehmers unterscheidet, wie aus dem Urteil Krid, a. a. O.
(Randnr. 39), hervorgeht, nicht auf das Abkommen übertragen werden kann (vgl.
in analoger Anwendung die Urteile Kziber, a. a. O., und Hallouzi-Choho,
a. a. O., Randnr. 30).
- 25.
- Folglich fällt eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den
persönlichen Geltungsbereich des Artikels 39 Absatz 1 des Abkommens, wobei es
unerheblich ist, ob ihr die von ihr beantragte Leistung als eigenes Recht oder
aufgrund ihrer Eigenschaft als Familienangehörige eines algerischen
Wanderarbeitnehmers gewährt wird.
- 26.
- Zweitens folgt, was den in dieser Vorschrift enthaltenen Begriff der sozialen
Sicherheit angeht, aus dem Urteil Krid, a. a. O. (Randnr. 32), sowie im Wege der
Analogie aus den genannten Urteilen Kziber (Randnr. 25), Yousfi (Randnr. 24)
und Hallouzi-Choho (Randnr. 25), daß er genauso wie der in der Verordnung Nr.
1408/71 verwendete gleichlautende Begriff aufzufassen ist.
- 27.
- Artikel 4 Absatz 2a Unterabsatz b der Verordnung Nr. 1408/71 (siehe auch Artikel
10a Absatz 1 und Anhang IIa dieser Verordnung) enthält seit deren Änderung
durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl.
L 136, S. 1) einen ausdrücklichen Hinweis auf die Leistungen, die zum besonderen
Schutz der Behinderten bestimmt sind. Außerdem entsprach es seit dem Urteil vom
28. Mai 1974 in der Rechtssache 187/73 (Callemeyn, Slg. 1974, 553) und damit
schon vor der Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 der ständigen
Rechtsprechung, daß die Leistungen für Behinderte wegen Artikel 4 Absatz 1
Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71, der ausdrücklich „Leistungen bei
Invalidität“ anführt, in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen
(siehe in diesem Sinne auch Urteil Yousfi, a. a. O., Randnr. 25).
- 28.
- Eine Leistung wie die im belgischen Recht vorgesehene Beihilfe für Behinderte fällt
also in den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und daher in
den des Artikels 39 Absatz 1 des Abkommens.
- 29.
- Aus dem in Artikel 39 Absatz 1 des Abkommens enthaltenen Grundsatz, daß im
Bereich der sozialen Sicherheit algerischer Wanderarbeitnehmer und ihrer mit
ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen jede Diskriminierung aufgrund der
Staatsangehörigkeit im Verhältnis zu den Inländern des betreffenden Mitgliedstaats,
in dem sie beschäftigt sind, verboten ist, folgt somit, daß die von dieser Vorschrift
erfaßten Personen unter den gleichen Voraussetzungen einen Anspruch auf
Beihilfen für Behinderte geltend machen können wie die Staatsangehörigen des
betreffenden Mitgliedstaats.
- 30.
- Es ist daher als mit diesem Grundsatz unvereinbar anzusehen, wenn von den von
dieser Vorschrift erfaßten Personen nicht nur die Staatsangehörigkeit des
betreffenden Mitgliedstaats verlangt wird die die Bürger dieses Staates
zwangsläufig besitzen , sondern darüber hinaus die Voraussetzung der Ausübung
einer beruflichen Tätigkeit durch die Person, die die Gewährung der fraglichen
Leistung der sozialen Sicherheit beantragt, aufgestellt wird, wenn eine derartige
Bedingung, worauf das vorlegende Gericht hingewiesen hat, für Inländer nicht gilt.
- 31.
- Aus dem Grundsatz des Artikels 39 Absatz 1 des Abkommens, daß im Bereich der
sozialen Sicherheit jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit
unzulässig ist, folgt somit, daß der Ehegattin eines algerischen
Wanderarbeitnehmers, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem dieser
Arbeitnehmer beschäftigt war, wohnt und alle Voraussetzungen mit Ausnahme der
Staatsangehörigkeit erfüllt, um eine Leistung wie die Beihilfe für Behinderte zu
erhalten, die nach belgischem Recht für innerhalb des Landes wohnende Personen
vorgesehen ist, diese Leistung nicht versagt werden darf.
- 32.
- Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß Artikel 39 Absatz 1
des Abkommens dahin auszulegen ist, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, der
behinderten Ehefrau eines im Ruhestand befindlichen algerischen Arbeitnehmers,
die zusammen mit ihrem Ehegatten in diesem Mitgliedstaat wohnt, eine Leistung
wie die Beihilfe für Behinderte, die nach den Rechtsvorschriften dieses
Mitgliedstaats zugunsten von innerhalb des Landes wohnenden Inländern
unabhängig von der Ausübung einer Berufstätigkeit vorgesehen ist, mit der
Begründung zu versagen, daß sie algerische Staatsangehörige sei und niemals eine
Berufstätigkeit ausgeübt habe.
Kosten
- 33.
- Die Auslagen der belgischen Regierung und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
auf die ihm vom Tribunal de Travail Charleroi mit Urteil vom 18. März 1997
vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 39 Absatz 1 des am 26. April 1976 in Algier unterzeichneten
Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und
der Demokratischen Volksrepublik Algerien, im Namen der Gemeinschaft
genehmigt durch die Verordnung (EWG) Nr. 2210/78 des Rates vom 26. September
1978, ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, der
behinderten Ehefrau eines im Ruhestand befindlichen algerischen Arbeitnehmers,
die mit ihrem Ehegatten in diesem Mitgliedstaat wohnt, eine Leistung wie die
Beihilfe für Behinderte, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats
zugunsten von innerhalb des Landes wohnenden Inländern unabhängig von der
Ausübung einer Berufstätigkeit vorgesehen ist, mit der Begründung zu versagen,
daß sie algerische Staatsangehörige sei und niemals eine Berufstätigkeit ausgeübt
habe.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Januar 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Zweiten Kammer
R. Grass
R. Schintgen